Präzise Einschwingungen

Anton Quiring platziert sehr einfache Objekte in den Raum, und dennoch erfasst man sie nicht sofort mit dem Blick. Die dunklen Stäbe, gebogenen Schläuche, schwarzen Platten oder hellen Steine sind industrielle Materialien und entfalten doch eine erstaunliche und unerwartete Poesie. Sie verhindern eine schnelle Festlegung, sie behalten etwas Langsames, Scheues und sogar Zartes. Dunkle Rundstäbe, je drei an den gegenüberliegenden Wänden, grenzen sich nicht hart ab, sondern es sind Röhren aus weichem Schaumstoff, die trotz ihrer Präzision leicht und sogar beweglich wirken. Ein weißer Ring ist aus drei zusammengesteckten Kunststoffschläuchen gebogen, einem Kreis sich nähernd, langsam und sorgfältig wie eine in den Raum gezeichnete Linie, die vorsichtig den Boden berührt. Die Werke von Anton Quiring bestehen eigentlich nicht aus einzelnen Objekten, sondern aus dem Raum, den diese zarten Gegenstände zum Klingen bringen. Man nimmt sie zugleich mit dem gesamten Raum wahr. Sie lehnen sich an seine Grenzen an, sie fügen und schwingen sich in ihn ein und füllen seine Leere von Wand zu Wand. Es ist schwer zu erklären, aber der Raum schwebt, er wird durchdrungen von den leichthin sich ausbreitenden Reflexen einer besonderen „Stimmung“, die von dem einen und dann wieder von dem anderen Objekt ausgeht. Jede Arbeit erzeugt einen Widerhall, sie berührt die Wand oder den Boden auf ihre Weise, immer vorsichtig und tastend, aber immer auch sehr eigenwillig. Einmal ist es ein Herausgreifen von der Fläche aus ins Offene, dann ein stummes Verdecken durch ein Schwarz, das von einem leicht glitzernden Holzkohlestaub überzogen ist, oder auch ein gereihtes Entlanglaufen an der Wand von labil angelehnten Metallstäben, jeder mit einem winzigen Endpunkt. Auf dem Boden liegen weiße Platten, die zum Raum und zueinander Kontakt aufnehmen. Überhaupt gibt es nichts, was definiert, abgegrenzt und endgültig wirkt. Fünf große leere Rahmenfenster blicken hinaus auf ein ungreifbares Schwarz… Man spürt diese Sensibilität von Formen, die zwischen ihrer leichten Gestalt und ihrer Umgebung vermitteln – mit einer sehr sinnlichen Materialität und Empfindlichkeit. Nicht nur die Wand, die Raumecke oder der Boden werden zum Fluidum, sondern auch das Licht, der Schatten, der Fluss der Räume, der an einer Stelle in drei kurze Röhren eintaucht. Am Ende steigt man zu einem kleinen, etwa quadratischen Zimmer herab, einem kostbaren Behältnis mit einer hellen linearen Einteilung aus Steinen auf dem Boden, mit einer kleinen dunklen Linie in Augenhöhe, die sich auf einen Punkt zusammenzieht, mit einer rhombischen Zeichnung, aus der ein imaginärer Raum erwächst, der nicht existiert… Was habe ich gesehen? Man weiß es eigentlich nicht, aber man hat vermutlich etwas gespürt.

Prof. Dr. Erich Franz, Münster, 2017

 

 

Anton Quirings Zeitmaßstäbe

Der Status des legendären Vogels Phönix in Form seiner Asche markiert den Nullpunkt einer zyklischen Zeitvorstellung, hier ist die vergangene Zeit als verlorene enthalten, und die Zukunft liegt im Dunkeln. So absolut die Fläche zunächst erscheint, könnte man sich sorgen, die Zeit würde in diesem Zustand verharren. Aber Quirings Tafel aus selbst hergestellter, kristallin glimmernder Holzkohle ist nicht allein, sie hat ein Pendant, das als erster Nachfolger einer Reihe die Zeit gewissermaßen fortsetzt. Die schwarzen rechteckigen Flächen beziehen sich auf die Geschichte der Abstraktion, die sich in der Suche nach reiner Form manifestartig von allem Erzählerischen zu befreien suchte. In seinen minimalistischen Arbeiten bietet Quiring Modelle der Messung: Ein aufgewickelter Bitumenstreifen umkreist einen Anfangspunkt und gewinnt allmählich Raum. Zwei in Breite und Durchmesser verschiedene Zylinder umspannen unterschiedliche Grundflächen; man fragt sich, ob ihre jeweilige Breite darauf zielt, dennoch ein gleiches Volumen zu umfassen. Mit einfachsten Mitteln legt der Künstler den Finger auf die Begrenzungen der Maße. Zwei Holzstäbe unterscheiden sich durch ihre Markierungen, beide tragen in der Mitte schwarzes Klebeband. Bei dem einen wird die Mitte ausgemessen, beim anderen intuitiv gesetzt. Der eine wird zusätzlich durch solche Setzungen an seinen Enden begrenzt, während der andere dem gegenüber unbemessen bleibt. Wenn ein 25 Zentimeter langer schwarzer Stift in den Raum ragt und den Titel „Zeit“ trägt, fragt man sich, welche Zeit damit eigentlich abgesteckt ist, und ob der Zeitraum an den Enden abschließt. Die Verwendung von schwarzer Holzkohle bei solchen Arbeiten enthält einen Absolutheitsanspruch, der im graphischen Zeichen liegt. Sanfte Lichtreflexionen in der Tiefe des Schwarz jedoch versetzen die Formen sachte wieder in Bewegung und offenbaren ein Energiepotential an seinem Umschlagpunkt von einer vergangenen, im Feuer aufgezehrten Kraft, hin zu einer neuen Perspektive, die aus der Zeichenhaftigkeit erwächst und damit Ansprüche stellt für die Wirklichkeitswahrnehmung jenseits der Begegnung mit dem künstlerischen Objekt.

Dr. Holger Birkholz, Kunstwissenschaftler, Dresden, 2016

 

 

Sammlung Schroth

Anton Quiring, (*1970, lebt in Frankfurt am Main) stellt den Betrachter konkrete Materialien vor Augen, die ihn zu weit entfernten und bis ins Unendliche reichende Vorstellungen führen. Phönix I und Phönix II sind Bildtafeln, die bis über ihre Ränder mit zerstampfter Holzkohle bedeckt sind. Es ist ein schwärzliches Pulver, das mit Eitempera gebunden ist. Eigentlich ist es keine Farbe, sondern Asche, also zerkleinertes Material, dessen Dunkelheit in allen Farben changiert. Man blickt also über die Oberfläche hinaus auf die Herkunft (Holz, Feuer, Zerkleinern), auf die verkohlt-kristalline Struktur und auf die beweglichen Lichtreflexionen. Die schwarze Fläche stellt nichts dar, sondern zeigt lediglich ihre Materialität. Dennoch bleibt sie nicht im Konkreten, sondern führt die Vorstellung in weitere Bereiche der Erinnerung und Vorstellung. Auf andere Weise reicht die schwarze, an der Wand hängende Kreisform Ohne Titel (S 1) über ihre anschauliche Form hinaus. Bei näherer Betrachtung erkennt man, dass es sich um eine Spule aus einem 5 cm breiten Kartonband handelt, das mit Bitumen überzogen ist. In Gedanken vollzieht man die lange dauernde Arbeit des Aufwickelns nach. Die Oberfläche des Kartonbandes verschwindet im Inneren der Spule. Das Schwarz verbirgt die Materialität und schließt die Handling in der Ruheform des Kreises zusammen. Auch hier reicht also die Vorstellung weit über die festgestellte Form hinaus. Im Gegensatz zum Konstruktivismus – oder eher in seiner Erweiterung – gelangt der Betrachter von einer Form nicht zu anderen Form, sondern zu einer lang andauernden Handlung und zu Vorstellungen, die sich weit vom Konkreten entfernen.

Prof. Dr. Erich Franz, Münster, 2015

 

 

Strukturanalyse

(…) Die Suche nach strukturellen Werten und Qualitäten führte Quiring zunächst zur monochromen Malerei. Schnell wird dabei deutlich, dass selbst die flächige Malerei bei ihm immer wieder mehr sein will. Die Ölfarbe erhielt Asche, Erde, Kohlereste – meist natürliches Material… Quiring schafft damit monochrome Malerei mit starkem Oberflächenrelief… Aus den sehr einfachen, billigen Ausgangsmaterialien entsteht ein vollkommen verändertes, hochwertigeres Erscheinungsbild. „Die monochrome Malerei ist für mich eine Möglichkeit, mich zu versenken. Es können tiefe Gefühle zum Ausdruck gebracht werden“, sagt Quiring dazu. Die Malerei wird in weiteren Werken immer plastischer. Das Strukturelle und die Poetik des Einfachen, die zuvor schon anklangen, werden spürbar weiterverfolgt. Er agiert bescheiden und zurückhaltend, indem er Minimalismus und Arte povera zusammenbringt. Die Inspiration geht unmittelbar vom Material aus.

Dr. Claudia Turtenwald, Bielefelder Kunstverein, 2007